Irgendwann einmal nach 20 Jahren
ausgefüllten Tennislebens war er da - der Schmerz in der rechten
Hand, der sich mit jedem Schlag zu einem permanent penetranten
Ärgernis aufsummierte und dessen Schilderung von nun an die
Tresenkonferenz mit verständnisvollen Clubkameraden
bestimmte.Viele abenteuerliche und alles mögliche raubende
Vorschläge zur Linderung wurden mir angetragen, woraufhin ich
mich nach Überprüfung meiner gesellschaftlich- und
geschäftlichen Interessen im Jahre 1986 im zarten Alter von 37
Jahren dafür entschied, mir eine Radikalkur angedeihen lassen zu
können: Ich hörte auf, Tennis zu spielen. Gesagt, getan,
gelitten!
Irgendwie hatte ich mich daran gewöhnt, einen runden Gegenstand
mit einem Schläger über ein Netz zu befördern und außerdem
beträchtliches Fachwissen darüber angehäuft. Ich hielt einen
Topspin nicht mehr für einen besonders überzogenen Redebeitrag
und brachte Dreisatzsiege auch nicht mehr mit ätzenden
Textaufgaben aus den früheren Martermatikstunden in Verbindung.
Zudem entzogen sich langsam, aber sicher meine Füße meinem
spontanen Anblick, und der Spiegel präsentierte mir das
(typische?) Bild eines breiten Sportlers. "Eine Nummer
kleiner wäre nicht schlecht", fuhr es mir durch den Kopf,
und sogleich erhellte ein Geistesblitz meinen Horizont:
"Tischtennis, das ist es!" Kurz entschlossen erstand
ich einen Ping - Pong - Schläger vom Wühltisch im Supermarkt
und marschierte in Nachbars Keller, wo bereits Gleichgesinnte am
Werke waren: Über Eck stand da ein Tischtennistisch zwischen
Regalen und Bierkisten eingekeilt. Mitten über dem Netz hing
eine Kellerfunzel herunter und versuchte mühsam, die Szene zu
erhellen - eigentlich fehlten nur noch Revolver, Schlapphüte und
Pokerkarten. Spieltaktisch gab es nur die Flucht nach vorn ins
Ungewisse, denn hinter einem lechzten Rauhputz und Einmachgläser
unerbittlich nach blutigen Ellenbogen und Fingerknöcheln, blauen
Flecken und Kleinholz. Also galt: Bauch auf die Tischkante, Arm
in wohlgesitteter Tischhaltung angelegt, den Schläger senkrecht
zur Platte fixiert und die Rückhand wie einen Kolben im Zylinder
vor- und zurückbewegt. Nach circa 40 Minuten war der Mief so
dick, daß der Ball trotz optimaler Luftwiderstands-Beiwerte nur
noch mit einem turbostarken Staubsauger übers Netz zu locken
war. Das war dann das Signal für die Kontaktförderer Doppel und
Flaschenbier! Bei wachsender Schwüle entwickelte sich die Aktion
zu einer Art "Dirty dancing", und wenn der erste
Mitwürgende einen Ball durch bloßes Rülpsen abgewehrt hatte,
war Schluß.
Das wurde mir mit der Zeit alles zu feucht, und deshalb beschloß
ich, einem Tischtennisverein beizutreten.Ich wußte noch,daß
meine Nachbarin früher in der Bundesliga gespielt hatte und
borgte mir ihren alten Kork - Schläger - sozusagen als
Motivationshilfe. Doch welch ein Aufstand, als ich ihn in der
Turnhalle auspackte: Jetzt ginge es nur noch mit Gummi, hieß es,
und "das müsse vorne schwarz und hinten rot sein,
allenfalls umgekehrt!" Darauf drückte ein wohlmeinender
Mitmensch mir einen Spezialkatalog in die Hand, in dem es alle
möglichen Modelle gab wie z.B.: Konkav, konvex, anatomisch,
gerade, "schnell und gefühlvoll", "für
Kompromißlose", "direkt und
dynamisch","kontrolliert offensiv" mit
"Noppen außen", "Noppen innen" (vielleicht
auch ganz interessant?), "langen Noppen", "für
lange Kontaktzeiten" und das alles noch in verschiedenen
Schwammstärken. (Was soll denn das nun schon wieder? Ein Schelm,
der Böses dabei denkt ...) Ich erinnere mich, auch etwas von
"Antibelag" gelesen zu haben, aber dann habe ich wohl
gedacht, das wäre auch schlicht und ergreifend mit Zahnpasta
hinzukriegen. Total verstört und resigniert ob der Vielfalt des
Angebots erwarb ich lediglich zwei preiswerte Allroundbeläge,
mit denen ich mein mittlerweile doch recht abgenudeltes Gerät
aufmotzte. Kurz und schlecht: Schwamm drüber und hinein ins
Getümmel!
Neugier macht unvorsichtig und offenbar sieht man bei dieser
Sportart grundsätzlich keinem seine Spielstärke von der
äußeren Erscheinung her an. Mutig quatschte ich also einen
rundlichen älteren Herrn an, ob wir nicht "ein paar
Schläge machen könnten?" Auf ein schicksalergebenes
"Jaa, warum nicht?" gings auch wirklich sofort los,
nachdem dieser seinen Schläger mit einem weißen Schaum
eingeseift und sorgfältig poliert hatte. Gleich beim ersten
Anblick des Balls sah ich Sterne (3 schwarze), ohne das gleich
als böses Omen zu werten. Beeindruckt von der Weite des Raums
atmete ich tief durch, holte so richtig aus wie auf dem
Centrecourt und und genoß die Ästhetik des gepflegten langen
Ballwechsels. Euphorisch gestimmt zog ich in Erwägung, ein
"richtiges" Spiel anzuregen - und schon hatte ich den
Aufschlag gewonnen! Das war schon immer meine Spezialität: Links
hinstellen, in die linke Ecke gucken - darauf mit der Rückhand
zielen - und mit gekonntem Dreh den Schläger pfeilgerade
diagonal und leicht überrissen nach rechts ziehen ...As! Das kam
mir bekannt vor. Jetzt das gleiche noch einmal, allerdings eher
unterschnitten ... ein sogenannter Servicewinner, wobei der
Rückschlag die Platte deutlich verfehlte. Darauf das ganze
seitenverkehrt ...4:0! Zu schlechter Letzt ein kurzer aus meiner
Kellerphase .. leider ins Netz! Servicewechsel! Der da drüben
erstarrt zur Skulptur Marke Diskuswerfer, und während ich das
Spiel seiner nicht vorhandenen Rückenmuskulatur zu erahnen
trachte, erregt das Leuchten des Balles auf seinem Handteller
unterhalb der rechten Achselhöhle meine Aufmerksamkeit. Jetzt
wird die Zelluloidkugel hochgeschnellt und steigt und steigt
und...Ein wildes Zucken schreckt mich auf, das ich erst neulich
bei meiner Frau bemerkt hatte, als sie ein klebriges Stück
Sahnetorte vom dafür bestimmten Heber auf meinen Teller zu
bugsieren beabsichtigte. Plopp, plopp, plopp, da rollt derBall
schon unmittelbar hinter dem Netz ( leider auf meiner Seite) aus.
Der nächste Aufschlag erinnert mich irgendwie an
Zwiebelschneiden, wobei ich dem Hintern des Gegenübers
anstandslos ein höheres Niveau als seinem Kopf (geographisch
gesehen natürlich) bescheinigt hätte, und mein Rückschlag
verwandelt die Turnhalle in ein Squashcenter. Der dritte
Aufschlag schwebt luftig heran,tropft auf meinen Schläger, dreht
dort drei anmutige Pirouetten, tänzelt meinen Arm hinauf und
verschwindet letztendlich in meinem rechten Hemdsärmel ...
Daraufhin entspannte sich die Lage deutlich und die nächsten
Angaben erweisen sich als äußerst human, und ich werde sofort
offensiv nach der Faustregel: Je härter das "Ping",
desto schlaffer das "Pong"!
Alles Quatsch! Bereits mein zweites "Pong" erschien mir
reichlich früh zu ertönen. Kein Wunder, das war es doch nicht
mein Schläger, der geräuschte, sondern die Wand hinter mir. Ein
nächster Versuch meinerseits zeigt ungewohnt hohes Niveau (ca.
2m über der Netzkante!) und ich habe viel Zeit in Erwartung des
kommenden Schmetterballes, die ich mir mit respektvollem
Zurückweichen vertreibe ... da kühlt bereits die grüne Platte
meine Wangen, deren Kante sich meines Beckenknochens und deren
Netz sich gleichzeitig meiner des Instruments beraubten
Schlaghand annimmt. Scheiß Stopball: 4:6! Aber ich darf
wenigstens wieder servieren! Leider scheint der Kontrahent
irgendwie verstimmt: Wippend geduckt wartet er wie weiland
Werner, der bodenwellenverschlingende, nicht eingedenk des
abrupten Verlustes seiner Horex ... Alles vorbei, abgesehen von
der Hoffnung auf ein glückliches "As"! Ich hechte von
nun an nach dem Ball wie mit einer Fliegenklatsche nach einer
hungrigen Mücke. In purer Notwehr bringe ich einige
unkontrolliert defensiv zurück. Zwei erwischen auf
unerklärlichen Wegen die Tischkante und drei ergreifen wohl im
Flug Eigeninitiative, jedenfalls erschlägt sie ein sichtlich
genervter Gegner unter heftigem Kopfschütteln. Einmal gelingt
mir ein grandioser Volley, der leider nicht zählt, und dreimal
verschlägt mein Spielpartner unter mürrischem Gemurmel!
...5:21, 7:21! Daraufhin änderten sich zwar die Gegner, die
Niederlagen jedoch blieben. Endlich gab mir ein Uralt- Routinier
einen grandiosen Tip, der meine Erfolgserlebnisse deutlich
anhäufte: Ich tue, als wolle ich lediglich trainieren und zähle
in Wirklichkeit heimlich mit. Neulich habe ich so einen Satz erst
in der Verlängerung mit 29:31 verloren. Das tollste daran war,
daß ich ihn sogar mit 35:33 gewonnen hätte, wenn ich nur einen
Ball später mit dem Zählen begonnen hätte!
Ich spiele sogar mit dem Gedanken, demnächst die Mannschaft zu
verstärken! Sie fragen, wie das angehen soll? Ich lasse mir im
Chinarestaurant ein großes Schild anfertigen und stelle mich
damit auf den Elbdeich: Was darauf steht? Ganz einfach:
Spielertrainer gesucht - Spielstärke ca. Kreisliga Shanghai!
Alle Rechte vorbehalten: Johann Kowalczik
Weitere Erkenntnisse:
Bekenntnisse eines Spielverderbers (1998)
6 Gründe, Tischtennis zu spielen – und das auch noch in einer Mannschaft! (2005)
Hans
im Glück oder Wie man Scheiße als Dünger erkennt.(2012)
Vom Abseits im Tischtennis (2020 ff.)
Es gibt mir sehr gut bekannte ehemalige Jugendtrainer, die diesen Artikel höchstwahrscheinlich als böse Satire empfinden, obwohl er nicht nur für ihren Sportbereich , sondern für alle Lebensbereiche zutrifft.