Die NATTERNBUSCHER
ÄNDERUNGSDENKEREI Die Märchenerzählertrilogie
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Das Märchen
vom Märchenerzähler, dessen Märchen keiner hören
wollte.
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Er suchte fortan
Anschluss bei den Nischennistern in der weiteren
Umgebung, die den Anspruch haben, sensibler,
intellektueller und vor allem anders zu sein. Er
verzichtete dafür ganz auf Worte und summte nur noch
märchenhafte Sequenzen, zu denen sich das Auditorium
eigene Märchen ausdenken sollte. Das fand die Zielgruppe
zwar ganz anregend und unterhaltend, doch störte sie
sich daran, dass sich der Märchenerzähler nicht zu dem
exquisiten esoterischen Dressing bekannte, ohne den sie
geistige Nahrung zu verweigern pflegen. Als er auch noch
seine speziellen Märchenerzählmethoden in VHS- Kursen
zum Nulltarif anbot, dachten sich nahezu alle "Der
kann uns viel erzählen!" und zeigten ihm mittels
demonstrativen Stirntippens die kalte Achselhöhle. Also
fühlte sich unser Geist-Erfahrer endgültig als
Geisterfahrer wider Willen. |
Das Märchen von der Märchenfee, die keine Märchenfee mehr sein wollte.
Ihr werdet als aufmerksame Zuhörer vielleicht schon ahnen, dass dieses Märchen etwas mit dem letzten, dem Märchen vom Märchenerzähler, dessen Märchen keiner mehr hören wollte, zu tun hat. Und in der Tat, es handelt sich um eben diese Märchenfee, die dem Märchenerzähler, der sie immer noch wie vor einigen Jahrzehnten liebte, bereits mehr als eine Muse geworden war, deren Anerkennung ihm inzwischen die letzte Motivation bedeutete. Nun wollte es aber das Schicksal, dass die Märchenfee sich eines Nachts während eines zwar pseudo-, aber immerhin doch spirituellen Fortbildungskurses auf märchenhafte Weise selbst erfuhr, indem sie in einem Zustand, von dem sie später nicht beschwören konnte, ob er geträumt oder real war, vorübergehend in eine lichterfüllte transzendente Welt eintauchte. Den anderen Teilnehmern erschien danach ihre euphorisch entrückte Schilderung wie ein Märchen, aber Märchenfeen sind eben so - zumindestens für sich. Von nun an war sie aber für andere eine andere. Und so fing sie an, langsam aber konsequent mit dem speziellen Märchenerzählergefeee aufzuhören und sich andern Menschen und vor allem sich selbst zuzuwenden. Das zeigte sich unter anderem darin, dass sie eine Art Allesflüsterin zu werden schien, nur noch mit positiven Gedanken und guten Gefühlen zu tun haben wollte, und vor allem befürchtete, von dem ihr zwar anvertrauten, aber unerwartet flüsterresistenten Märchenerzähler ausgezehrt zu werden, in dessen Gegenwart sie sich einfach nicht mehr wohlfühlte. Es abgründete darin, dass sie anlässlich eines ebenso hingeschluderten wie hochgepriesenen Fremdmärchens, über dessen Machart und dessen Akzeptanz bei den selbsternannten Märchenexperten er sich wieder einmal rechtschaffen aufregte, dem Märchenerzähler wider Erwarten nicht mehr beistehen wollte, sondern ihm schließlich eröffnete, sie habe nicht mehr so ein Interesse mehr an ihm wie vorher und könne ihm nicht mehr geben, was er brauche. Er ginge ihr auf die Nerven, und sie hätte sich lange genug als Märchenfee ausnutzen lassen und überhaupt sei es eine schreckliche Zeit für sie gewesen und ihre Märchenfeengeduld restlos am Ende. |
Wer sie schon länger kannte, den wunderte es nicht,
dass sie sich selbst diesen Eigenwunsch nach einem
Privatparadies sofort erfüllte, so gut es ihr nur irgend
ging. Es wäre auch nicht verwunderlich gewesen, wenn
diesen Zustand irgendjemand als Märchenbefeedung
bezeichnet hätte. Da sah auch unser arg geschockter und
ernüchterter Märchenerzähler recht schnell ein, dass
es folglich es mit seinen künstlerischen und sonstigen
Freiheiten, von denen ich am Schluss des letzten
Märchens berichtet habe, Essig sein musste - wenn auch
nicht unbedingt mit BIO, denn dieses Märchen war ihm
noch nie geheuer. Er begann also, sich an den Trank zu
gewöhnen, dem ja nicht umsonst heilsame Wirkungen
zuerkannt werden, und der ihn rasch 12 Kilos kostete, von
denen einige zugegebenermaßen als überflüssig
bezeichnet werden konnten. Das fand seinen Ausdruck nur
noch im Internet und unter anderem darin, dass er sich
sonst niemandem außer seinem Therapeuten mitteilte. Die
Märchenfee zeigte sich jedoch darob wider Erwarten
befremdet. Außerdem hatte sie sich aus Äskulaps
Paradiesgärtlein vom Baum der Märchenfeen-Erkenntnis
eine beträchtlichen Vorrat an Supersaueräpfeln besorgt
und hielt diese dem Märchenerzähler mehrmals täglich
vor. Da er dazu erzogen war alles aufzuessen, was auf den
Tisch kam, verweigerte er sich auch nicht. Nun erzählen
sich ja die alten Leute, dass sauer lustig machen soll,
aber das gilt wohl nur für diejenigen, die sich am
Anblick des Angesäuerten erfreuen können. Unserer
Märchenfee konnte man zwar einiges zutrauen, aber
Schadenfreude? Nein- das war dann doch nicht ihr Ding.
Ganz im Gegenteil, sie wollte ja nur noch frohe Gesichter
um sich, und sein Frustface war demnach allemal ein
triftiger Grund, den Abstand zum Märchenerzähler noch
weiter anwachsen zu lassen. Da half jenem auch nicht,
dass er jedesmal laut und deutlich kundtat, wenn er sich
trotz inzwischen chronisch verknitterter Miene freute,
was durchaus manchmal noch vorkam - sie vertraute ihm
nicht mehr und glaubte lieber ihrer Wahrnehmung von
seiner Körpersprache. Im Bestreben, zu retten, was zu
retten wäre, -ganz im Ernst; Wer lässt schon eine
Märchenfee sausen? - bemühte der Märchenerzähler sich
nun seinerseits, seiner nunmehr Ex-Märchenfee jeden
Wunsch von den Augen abzulesen, was sie wiederum noch
mehr entgeisterte und zu der wenig märchenfeenhaften
Aufforderung veranlasste, "er solle sich gefälligst
endlich um sich selber kümmern". Obendrein fasste
sie den Entschluss, wenigstens eine Zeitlang eine
räumliche Trennung herbeizuführen, und willigte in eine
mehrwöchige Umschulung für Märchenfeen ein, die fernab
hinter den sieben Bergen angeboten wurde und eine
Wiedereingliederung in was auch immer versprach. Der Weg
dorthin führte durch die Schluchten der Bürokratie und
war demnach lang und beschwerlich. Aber endlich war es
dann soweit. Es war sogar soweit gekommen, dass obwohl
...nein, gerade weil er seine Märchenfee immer noch lieb
hatte wie vor einigen Jahrzehnten, auch der
Märchenerzähler darüber froh war, dass es endlich
soweit war. Er sagte es zwar, aber man sah es ihm nicht
an... Wenn ihr denkt, jetzt sei alles gut geworden, kann ich nur sagen: "Wo denkt ihr hin?" Mitnichten ward dem so. Der Märchenfee wurden die dollsten Märchen aufgetischt von Selbstverwirklichung und irgendwelchen fabelhaften Chancen, wenn sie nur dem alten Märchenerzähler abschwören würde. Das tat sie dann auch gründlich und ward fortan nicht mehr in seiner Nähe gesehen. Dem unverändert erlebnishungrigen Märchenerzähler blieb darob nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen, sich selbst mangels märchenhafter Rundumversorgung zur Möhrchenfee zu entwickeln und auf irgendeine märchenhafte Wendung zu hoffen. Und wenn ihm die Möhrchen uund Kartoffeln nicht auch noch ausgegangen sind, dann hofft er noch heute. |
Das Märchen von der
märchenhaften Wendung Ihr werdet euch sicher fragen, wie die Märchen vom Märchenerzähler und seiner Märchenfee weiter gegangen sind, nach dem sie ihn allein mit seinen Möhrchen zurückgelassen hatte. Ich muss dazu ergänzen, dass er ihr eine Rückkehr jederzeit offengelassen hatte, was jedoch eher dem Anspruch an sich selbst als einer generösen Barmherzigkeit genügte. Es hieß zwar im vorher erzählten Märchen, er hoffe auf ein märchenhafte Wendung, aber das war eigentlich nur so dahin erzählt, weil das von einem zünftigen Märchen nunmal erwartet wird. In Wirklichkeit fristete die Hoffnung höchstens in seinem Unterbewusstsein ein eher klägliches Dasein - wenn überhaupt. Er konnte sich später jedenfalls derartiger Gedanken nicht so recht entsinnen. Das hätte auch garnicht seiner Art des Umgangs mit solchen Situationen entsprochen, die ihm seit dem pränatalen Bekanntwerden seiner Existenz wieder und wieder mittels einschlägiger Erfahrungen so etwas von angeeignet worden war, dass es bezeichnenderweise keiner großen Anstrengung bedurfte, dies seinem Therapeuten einzuleuchten. War es da ein Wunder, dass er seiner Natur entsprechend auch keine Lust auf eine andere Märchenfee oder sonstwelche Erscheinungen hatte? Allemal half es ihm, ganz passabel mit seiner Lage fertig zu werden. Hört also zu, was sich zutrug: Die Monate gingen ins Land und die Möhrchen schon deshalb nicht aus, weil sich unser Märchenerzähler zu einem ganz passablen Möhrchenzähler entpuppte. Diese Hinwendung von der gelegentlichen Ätzung zur geregelten Atzung wirkte sich überaus positiv auf sein Allgemeinbefinden aus. Es sorgte vor allem dafür, dass er nicht vollends in der Haut verschwand, in der er steckte. Der ausgiebige Verzehr dieses Wurzelgemüses hatte zudem die nicht zu unterschätzende Wirkung, ihm gründlich die Augen zu öffnen und die Ohren aufzurichten. Ohne Frage sah er immer weniger einen Sinn von ihm immer klarer erkannten Selffairytaling und begann , sich immer gründlicher in der realen Welt zu orientieren. Dies wiederum war nicht ganz so einfach, wie du dir es als normal Berufstätiger vielleicht vorstellst, denn das Märchenerzählen war ihm zu so etwas wie seiner Profession geworden. Dazu kam das Problem der Strukturierung des Alltags: Eine Erbschaft hatte ihn in nämlich die Lage versetzt, bei seinen eher bescheidenen - prädiogenialen, wie er es bezeichnet hätte - Ansprüchen ohne zusätzliches zeitordnendes Einkommen im abbezahlten Eigenheim mit dem vorhandenen Geld so gut auszukommen, dass er darüberhinaus auch noch die Hälfte davon als Unterstützung an seine Ex-Märchenfee überweisen konnte, der es zweifellos vorteilhaft zu ihren Selbstverwirklichungsversuchen gereichte. Des Möhrchenzählers Realität bestand neben regelmäßigen Besuchen beim Therapeuten im Folgenden darin, seine Überlebensfähigkeit auszuloten. Er hatte schnell begriffen, dass es dazu keiner medienwirksamen Wallfahrten in unerforschte Urwälder bedarf, die in irgendwelchen Hexenöfen enden könnten. Stattdessen entwickelte er anhand von Plastikdosen und stetiger Erweiterung der Nahrungspalette rasch einen nicht unerheblichen Stolz auf seine Fortschritte in Bezug auf Vorratshaltung und Selbstversorgung unter weitestgehender Vermeidung von Fertigprodukten. |
Wer das als Einzelkämpfer schon einmal versucht hat,
weiß es gebührend zu schätzen. Außerdem hatte er ein
Haus und einen nicht allzu kleinen Garten zu unterhalten.
Dass er solches wirklich in Angriff nahm und es
durchhielt, schaffte die nötige Grundstruktur für eine
gewisse Überlebensperspektive. Vor diesem Hintergrund
tauchte er - wenn auch meist nur als stiller Beobachter -
ab und zu in das reale Leben ein, das um ihn herum tobte,
und sorgte dafür, dass aus dem frischgebackenen
Eigenbrötler kein altbackener Eigenbrödler wurde. Als
irreale (und im alten Umfeld durchaus provokante)
Komponente blieb allerdings zu vermelden, dass er von
Beginn an dem Alkohol strikt entsagte, aber daran
gewöhnte man sich mit der Zeit. Im Gegenteil - er bekam
das Gefühl, dass sich Nachbarn und Bekannte ihm
gegenüber viel netter und aufgeschlossener zeigten als
zuvor, und das verwunderte ihn dann doch in einem nicht
geringen Maße. Es gab einige Ausflüge in die virtuelle
Realität der Chats und Foren, und da von einem Single im Seniorenalter gerade dort eher Märchen gefragt sind, wurden diese meist beendet, ehe sie richtig angefangen hatten. Ähnliches war über den Kontakt zu seiner Ex- Märchenfee zu berichten, der sich auf den monatlichen Kontoauszug und möglichst bürokratische Mitteilungen per Email beschränkte. Das war sicherlich nicht das Schlechteste, was dem Möhrchenzähler passieren konnte. So kam es, dass er sich nach eineinhalb Jahren mit seinem Leben im absoluten Hier und Jetzt ganz passabel arrangiert hatte. Als er sich nun eines Tages im Advent dem Silvesterfest entgegen freute, das er wie im ersten Jahr seines Überlebenstrips im Kreise eines mehrtägigen Musikseminars zu verbringen gedachte, klingelte das Telefon.... Am andern Ende meldete sich die Ex-Märchenfee. Der Möhrchenzähler wollte sie wie bei den bisherigen wenigen Anlässen gewohnt schnell abfertigen, aber ihre Stimme hatte einen gewissen Klang, der den Möhrchenzähler alsbald unwiderstehlich veranlasste, in seiner inzwischen unnachahmlichen Direktheit nachzufragen, ob sie etwa wieder zurückkehren wolle. Man kann nicht behaupten, sie sei darob nicht sprachlos gewesen, doch Abneigung war es nicht, was durch den Äther wellte und nach einem Monat ausgiebigster Tast-Telefonate und -Emails in einem ersten Zusammentreffen mündete, dessen harmonischer Ablauf ohnehin keinem zu vermitteln wäre, der nicht selbst Ähnliches erlebt hat. Sie blieben von desem Tag an wieder überwiegend sehr gern zusammen, aber wer denkt, alles wäre fortan beim alten gewesen, glaubt wirklich noch an Märchen. Märchen waren zumindest für den Erzähler selbst nahezu kein Thema mehr - ebenso wie reale Frühergeschichten und seine alten übergroßen Lieblingsklamotten, deren er sich prompt entledigte. Höchstens gelegentlich wähnte sich dabei der Möhrchenzähler im Märchen - als Fischer neben siner Fru, aber das dauerte meist nicht lange und war so ziemlich der letzte alte Hut. Deshalb will ich das nicht unnötig vertiefen. Die Verwurstung von Möhrchen blieb für ihn wenigstens ab und zu angesagt, und von nun an genoß er es, sich in seinem eigenen Zimmer in den Schlaf fernsehen zu können, ohne irgendwelche Traumfeenträume zu stören. Wenn die beiden auch für Außenstehende vermutlich wieder aufeinander hocken mögen, hacken sie wenigstens nicht mehr so aufeinander, und wenn sie nicht gerade besonders nett und fürsorglich zueinander sein wollen, dann leben sie immer noch leidlich friedlich nebeneinander miteinander. |