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Quo vadis, Tischtennis?

Ich bedauere zutiefst, dass ich nicht mehr als Stammspieler zu einer Tischtennismannschaft gehören kann. Das hat zwei Gründe: Zum einen bin ich gesundheitlich nicht mehr in der Lage, die weiteren Fahrten zu den Auswärtsspielen beschwerdefrei zu überstehen. Zum anderen kann ich es in einigen Fällen nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren. Das kommt daher, dass der Verband sich vor seiner Verantwortung den Kindern gegenüber drückt und vonden Spielern indirekt die Missachtung bzw. Ignoranz des Jugendschutzgesetzes abverlangt. Das bedeutet, dass er einerseits gesetzeskonform die Samstage und Sonntage für die Wettkämpfe festsetzt, aber andererseits Ausnahmen davon zulässt, "wenn alle Beteiligten damit einverstanden sind". Das wiederum wird von ehrgeizigen Eltern und Vereinen dazu benutzt, dass sogar schon B-Schüler während der Schulzeit wochentags in den Sporthallen auch nach 22 Uhr an den Tischen beschäftigt sind, und keine Mannschaft sich als Spielverderber erweisen will. Ich bin damit nicht einverstanden und falle deshalb in fast jeder Saison für das ein oder andere Wochentagsspiel aus, wenn auf der Meldeliste des Gegners ein Kind aus dem Schülerbereich aufgeführt ist. Die Konsequenzen daraus sind der Rückzug aus dem Wettkampfgeschehen und das Etikett des Querulanten im Sportkreis. Damit kann ich leben, aber eine gewisse Sorge um die Zukunft der Sportart treibt mich um, denn ich finde Tischtennis eine tolle Sportart, bei der man sich ohne verletzungsträchtigen Körperkontakt körperlich austoben kann. Dadurch kann es mit Genugtuung bis in das Greisenalter ausgeübt werden, wie die Ü90 - Weltmeisterschaften zeigen. Außerdem findet man sich mit seiner Mannschaft relativ bald in einer Staffel wieder, in der die eigentlich interessanten Spiele gegen Gleichstarke angesagt sind. Es wäre demnach schade, wenn die Nachfrage nach der Sportart schwände. Nachdem ich nun dreieinhalb Jahre als Betreuer im Spielbetrieb in den Jugendklassen des heimischen Tischtenniskreises involviert war, wundert es mich jedoch nicht, dass es immer weniger Jugendliche gibt, die längere Zeit am Pingpongball bleiben. Den Hauptgrund dafür sehe ich im konservativen "Konzept", das die spieltechnische "Mittelklasse" an der ausgestreckten Schlaghand verhungern lässt. Wo anderswo der Öko-BIO-Trend chic wird und extensiv gehaltene glückliche Rinder für anspruchsvolle Nahrung sorgen, setzt der gemeine Jugendfunktionär immer noch auf intensive konventionelle Leistungsoptimierung von Kindern, denen kaum Zeit für Glück bleibt. Im Spiel brauchen sie es tunlichst nicht, und danach wartet im Erfolgsfall sofort die nächste Herausforderung. Sie können womöglich sogar dann kein Glück empfinden, wenn sie nicht bei etwaigen Dopingkontrollen aufgefallen sind, weil sie keine Ahnung haben, womit sie gepusht werden. Zwar werden Kinder (wahrscheinlich) noch nicht sportartgerecht invitrofertilisiert und ausgebrütet, doch die Rekrutierung erfolgt ab einem gewissen Grade nicht gerade respektvoll. Fast allen Verantwortlichen geht es dabei nicht um die Bedürfnisse der Kinder, sondern einzig und allein um die baldigst mögliche Auffüllung der siechenden Seniorenmannschaften.

Das normal angesagte Procedere geht so:
Zusammen mit den Grundschulen werden vor Ort Minimeisterschaften organisiert, die der Sichtung der Talente dienen sollen und keine technische Fertigkeiten der Kinder erfordern. Die Sieger treffen dann im Kreisentscheid aufeinander. So weit - so gut. Dass danach aber noch an den Wochenenden Bezirks-, Landesverbands- und Bundesentscheid gerade in der Zeit anstehen, die für die Versetzung in der Schule relevant ist, hat mit kindgerechter Förderung absolut nichts zu tun, sondern nur noch mit Befriedigung von Eitelkeiten der Eltern und Funktionäre. Kinder, die dieser Tretmühle ausgesetzt werden, werden innerhalb ihrer Altersgenossen zwangsläufig ausgegrenzt, zumal dann bereits intensives und Zeit erforderndes Training eingesetzt hat.


Bereits jetzt besteht ein Drei-Klassensystem: Die "Supertalente", die "Pingponglegastheniker" und die jenigen, die in den Vereinen "weitermachen". Letztere sind letztlich dann diejenigen, die über kurz oder lang die Lust verlieren, weil Jugendliche sehr wohl merken, wann sie nicht ernst genommen werden und nur als Verfügungsmasse für den Garant von vermeintlich toller Jugendarbeit herhalten müssen. Sie haben sogar Glück, denn immerhin besteht bei ihnen im Gegensatz zu den erstklassigen Wunderkindern keine Gefahr verheizt zu werden. Das geschieht zum Teil sogar schon bei Elfjährigen abends in den Seniorenmannschaften, denn leider ist das in dieser Sportart aufgrund der körperlichen Voraussetzungen möglich, und der Kinderschutzbund verschließt wie die Politik beim Thema Kindesmissbrauch im Sport alle verfügbaren Sinnesöffnungen. Ein ähnliches Schicksal blüht ebenso den bedauernswerten Geschöpfen, die mehrmals in der Woche trainieren und ihre Wochenenden für Jugendteamerfolge auf Bezirks- oder gar Landesverbandsebene, sowie für irgendwelche Zettel mit irgendwelchen tollen Plätzen drauf in irgendwelchen Hallen der gesamten Republik verbringen müssen. Vollkommen irrsinnig wird es dadurch, dass es bereits für Schüler Europa- und Weltmeisterschaften gibt, und dass bei den Weltmeisterschaften der Erwachsenen sogar schon Achtjährige spielberechtigt sind. Nach bundesdeutschen Maßstäben resultiert das aus Kindesmissbrauch, aber  "Bei uns war das auch nicht anders!" und "Die anderen machen es doch auch!" sind die armseligen Totschlagargumente, die unweigerlich folgen, wenn so etwas thematisiert wird. Außerdem wird so ein Vorgehen von einer Bundespolitik gefördert, die sich an einer optimalen Medaillenausbeute orientiert und damit indirekt zum Kindesmissbrauch auffordert.


Das gängige "Förderungs"system ist kurz zusammengefasst:
Die Grundschüler werden nach den Minimeisterschaften mit einheitlichen Trikots in Vereinsmannschaften gelockt und dort beschäftigt, ohne dass Grundvoraussetzungen erfüllt wären. Sie können oft nicht mit Niederlagen umgehen, beherrschen zumeist keinen halbwegs regelgerechten Aufschlag, werden als Schiedsrichter eingesetzt, obwohl sie mit der nötigen Konzentration, der Zählweise und der Regelkunde teilweise heillos überfordert sind, und bekommen nicht ausreichenden Platz zum Spielen zur Verfügung. Da kann es schon einmal vorkommen, dass 6 Tische in einem Volleyballfeld  aufgebaut sind, wo bereits bei den Erwachsenen 4 Tische geduldet werden müssen, weil sonst der Spielbetrieb nicht möglich wäre. Andere Bedingungen aus den internationalen Tischtennisregeln werden ebenfalls nicht annähernd erfüllt. Ich habe es erlebt, dass erst auf mein nachdrückliches Verlangen und mit leichtem Augenrollen ein Tisch wenigstens zwei Meter vom Pfosten des Handballtores weggerückt wurde. Die Kinder hätten sich bei jedem Vorhandschlag ernsthaft verletzen können. Wer zudem nur spielen will und die Teilnahme an diversen freizeitraubenden Meisterschaften und Ranglistenturnieren verweigert, findet sich schnell im Abseits des Betreuerinteresses.
Es gibt zwar im Spielbetrieb Altersklassen, aber die stehen eigentlich nur auf dem Papier. Da B- Schüler schon in den Teams der Erwachsenen vorzufinden sind, verwundert es keinen, dass sie in der obersten Jugendklasse mitspielen. Wer sich mit Pubertierenden auskennt, weiß, dass so etwas nicht gerade deren Motivation fördert. Das führt dazu, dass sich diesem Kinderzirkus besonders Mädchen bald entziehen, zumal sie bei uns im Kreis mangels Akteurinnen in gemischten Mannschaften spielen müssen.
Die frustrierte "Mittelklasse" ist es, die den Spielbetrieb im Jugendbereich der Kreisverbände aufrecht erhalten könnte. Sie ist es sogar, die den Spielbetrieb bei den Senioren auf Jahre hinaus gewährleisten könnte, da die Spieler, die durchgehalten haben, eher am Ball bleiben als "undankbare" Musterschüler, die nach dem Verlassen des Elternhauses "aufwachen" und einen eigenen Willen entdecken. Das gilt für alle Sportarten und übrigens auch für das spielerische oder erzwungene Erlernen aller Musikinstrumente.


Was wäre die Alternative für einen vernünftigen Jugendspielbetrieb?
   Zuallererst müssten die Kinder einen brauchbaren und regelkonformen Aufschlag, sowie die Zählweise und die wichtigsten Regeln beherrschen. Darüber hinaus müssten Mindestanforderungen an die Konzentrationsfähigkeit gegeben sein. Dazu wird bei normal entwickelten Kindern mindestens ein Jahr gebraucht - mehr wäre besser. Danach stellen sich bereits zu Beginn der Punktspielkarriere einige Erfolge ein, die die Motivation zum Weitermachen nicht abwürgen.
   Als zweites sind wie im Seniorenbereich die Altersklassen abzuschaffen. Dann spielen nicht mehr die Kleinen bei den Großen mit, sondern halbwegs Gleichstarke gegeneinander. Den Rest regeln Auf- und Abstieg.
   Als drittes sollte das Gezerre um die Kinder innerhalb der Ortsvereine nicht ignoriert werden. Ich empfehle die Lektüre des "Kaukasischen Kreidekreises" oder zumindest einen Guglhupf darauf.
   Als viertes sollte es zu tolerieren sein, wenn das Jugendtraining von einigen zeitweise als Plauderstündchen genutzt wird um möglichst smartphonefrei die Erlebnisse des Schultages auszutauschen. Ebenso zu tolerieren muss es sein, dass Hausaufgaben, Sonderveranstaltungen der konkurrierenden Vereine, ein Strandbesuch an einem heißen Sommertag und ein Kindergeburtstag am Freitagnachmittag wichtiger sind als Balleimertraining und das Pauken von Spielzügen. Damit wird erreicht, dass der Teamgedanke und damit ein wünschenswertes soziales Verhalten in einem vertretbaren Rahmen im Vordergrund steht.
Das ist die Jugendarbeit, die in einer Zeit, in der sich der Spitzensport für die Befriedigung von Couchpotatoes und korrupte Funktionäre zusehends selbst diskriminiert, einen fruchtbaren Boden für eine gewisse Nachhaltigkeit des Tischtennissports bereitet. Wettkampfsport ist per se ein asoziales Unterfangen, das jedoch der Natur des Menschen entgegen kommt und deshalb als sehr unterhaltsam empfunden wird. Was dabei uneingeschränkt für die Einzeldisziplinen gilt, kann im Teamkampf wenigstens innerhalb der Mannschaft etwas kompensiert werden. Insofern ist er als relativ niedrigschwelliges Angebot zu werten, durch das brauchbares Sozialverhalten im "richtigen Leben" simuliert und erlernt werden kann, wobei der Respekt vor dem Gegner und seiner Spielweise ganz oben anzusiedeln ist. Gerade an dessen Vermittlung scheint es bei den besonders leistungsorientierten Funktionären, Trainern und Eltern zu mangeln. Anfängliche Massenkindhaltung ohne ein dabei nicht leistbares Mindestmaß an persönlicher Zuwendung kann nicht die Lösung sein.  Da helfen auch keine schickenTrikots. Eine vernünftige Ausbildung ist teuer, aber wenn die Ansprüche nicht überdreht sind, ist der Tischtennissport sogar finanziell für alle Eltern zu leisten. Wer an dem Weiterbestand des Tischtennissports ernsthaft interessiert ist, sollte sich als Mitarbeiter in einer Kinderzuchtanlage ebenso wie in einer Kinderbewahranstalt zu schade sein.

Johann Kowalczik, 11.5.2018

 

siehe dazu hier

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